“Ungleichheit” – ein Begriff und seine Wirkung

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Zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise sind deren Folgen noch heute voll spürbar. In der Politik etwa haben sich seither polarisierende Tendenzen, Protestbewegungen oder nationalistische Strömungen verstärkt. In der Ökonomie hingegen hat sich der Diskurs geöffnet. Statt von Armut ist heute von Ungleichheit die Rede – und dies längst nicht nur in Entwicklungskreisen.

Von der Armuts- zur Verteilungsfrage

Der Ausdruck Ungleichheit unterstreicht: Es braucht eine systemische Sicht auf das Phänomen Armut. Weil Ungleichheit auf einem Vergleich beruht, reicht es nicht mehr, nur jene zu betrachten, deren Einkommen sich am unteren Ende der Lohnskala befindet. Vielmehr verlangt der Begriff danach, die Sichtweise zu öffnen, sprich zu schauen wie Wertschöpfung entsteht, wer genau davon profitiert, wer verliert und – nicht zuletzt – der Frage nachzugehen, wie sich das System fairer ausgestalten lässt.

Die Grafik zeigt den weltweiten Einkommenzuwachs in US Dollar (1988-2008). Sowohl der absolute Einkommenszuwachs (“hockey stick” , rote Linie) wie auch der relative Einkommenszuwachs (“elephant”, schwarze Linie) basieren auf denselben Daten. (Daten: Lackner & Milanovic 2013, 2016; Grafik: C. Bader 2019)

Was das bedeutet, lässt sich unter anderem anhand der oft zitierten Elefantengrafik (schwarze Linie) veranschaulichen: Sie macht glauben, dass die Klein- und Kleinsteinkommen zwischen 1988 und 2008 gegenüber den Bestverdienenden aufholen konnten. Weil Wachstumskurven auf geringem Ausgangsniveau jedoch rasch sehr gross erscheinen, kaschiert diese Darstellung, was die absoluten Zahlen des Einkommenswachstums (rote Linie) klarmachen: dass die kleinen und mittleren Einkommen in Wirklichkeit praktisch unverändert sind, während die reichsten 5 Prozent immer rasanter nach oben «wegziehen».

Finanzvermögen gestiegen statt Wirtschaft gefördert

Zugenommen haben nicht nur die Einkommen der Reichsten. Auch die Profite multinationaler Unternehmen sind gestiegen (grüne Kurve). Die Investitionen hingegen (rote Kurve) sind im gleichen Zeitraum gesunken. Profite wurden somit nicht mehr produktiv reinvestiert (neue Arbeitsplätze, Weiterbildung, Infrastruktur), sondern beispielsweise für höhere Dividenenauszahlungen oder Aktienrückkäufe verwendet. Dies zeigt die Gewinnverwendung von Apple für die Jahre 2012-2018 eindrücklich.

Links: Die Grafik zeigt Durchschnittswerte für Frankreich, Deutschland, Japan, das Vereinigte Königreich und den USA. Quelle: UNCTAD 2016

Rechts: Daten zum Reingewinn von Apple finden sich in den Jahresberichten (www.annualreports.com). Daten zur Gewinnverwendung: https://investor.apple.com

Apple hat in den letzten sieben Jahren rund USD 325 Mrd. Gewinn erwirtschaftet. Davon wurden 248 Mrd. für Aktienrückkäufe, 78 Mrd. für Dividendenauszahlungen und 11 Mrd. für sogenannte „net share settlements“ verwendet. Interessant: Vor 2012 hat Apple keine Dividenden ausbezahlt, sondern u.a. in die eigene Forschung und Entwicklung investiert.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Profite der realen Wirtschaft entzogen werden, ergibt sich aus dem Vergleich von Löhnen (blaue Linie) und Arbeitsproduktivität (rote Linie). Während letztere in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen ist, stagnieren die Löhne.

Die Grafik zeigt die Entwicklung der Arbeitsproduktivität (labour productivity) und den Reallöhnen (rela wage). Die Arbeitsproduktivität ist definiert als BIP pro Erwerbstätige Person. In den “G20 advanced economies” sind u.a.: Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Südkorea, das Vereinigte Königreich und die USA.
Quelle: ILO 2014

Ungleichheit ist mithin nicht einfach ein Schlagwort mehr. Der Begriff schärft den Blick für Faktoren, welche die Armut und nicht-nachhaltige Entwicklungen begünstigen.


Der CDE Policy Brief zu Ungleichheit

Lannen A, Bieri S, Bader C. 2019. Inequality: What’s in a Word? CDE Policy Brief, No. 14.
Bern, Switzerland: CDE.

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